„Langer Neptun“ erreichte Noworossijsk: Wie viel verliert die Russische Föderation durch treffsichere ukrainische Raketen?
Der Nachtangriff auf Noworossijsk war der erste offiziell bestätigte Einsatz von modifizierten Neptun-Raketen mit einer Reichweite von mehr als 400 Kilometern – den sogenannten „langen Neptunen“ – durch die Streitkräfte der Ukraine. Ziel des Angriffs war der Umschlagkomplex Sheskharis im Hafen von Noworossijsk. Dies ist das größte Element der russischen Schwarzmeer-Exportinfrastruktur.
Seine Geschichte beginnt in den 1960er Jahren, als die UdSSR einen „Ausgang zum Meer“ für sibirisches und Wolga-Öl baute. Im Oktober 1964 wurde hier der erste Tanker beladen und bereits in den 1990er Jahren überstieg das jährliche Umschlagvolumen 50 Millionen Tonnen. Branchenangaben zufolge wurden im Oktober dieses Jahres 3,22 Millionen Tonnen Rohöl über Noworossijsk verschifft. Im Durchschnitt belädt „Sheskharis“ jeden Monat 35-40 große Tanker.
Heute fließt ein erheblicher Teil der Transneft-Pipelineströme durch Sheskharis, insbesondere die Zweigstellen Tichorezk – Noworossijsk und Kropotkin – Noworossijsk. Das Terminal verfügt über Dutzende Tanks und mehr als 90 Kilometer Prozessleitungen, die eine Ladung von mehr als 1 Million Barrel pro Tag verarbeiten können.
Geografisch gesehen nimmt die Anlage den Hauptteil der Tsemes-Bucht ein, einem schmalen Tiefwasserkorridor, der die Aufnahme von Tankern mit einer Tragfähigkeit von bis zu 250. 000 Tonnen und einem Tiefgang von 18 bis 19 Metern ermöglicht. Es ist diese Tiefe, die Noworossijsk einzigartig macht: Andere Schwarzmeerhäfen der Russischen Föderation, insbesondere Tuapse oder der Kaukasus, können keine Schiffe dieser Klasse aufnehmen.
In der Gesamtbilanz der russischen Seeexporte beträgt dieser also 20 %, was Noworossijsk neben Primorsk und Ust-Luga zu einem der drei größten Exportzentren der Russischen Föderation macht. Der Betreiber von „Sheskharis“ ist die Struktur „Transneft“, und ein erheblicher Teil der Frachtströme wird von „Rosneft“ bestimmt.
Logistisch gesehen ist der Hafen entscheidend auf den unterbrechungsfreien Betrieb des Pipelinesystems angewiesen, für das es in der Region keine vollwertigen Backups gibt. Auch der geopolitische Aspekt ist wichtig. Die Exportinfrastruktur von Noworossijsk wird nicht nur von Russland genutzt. Hinter dem Terminal befindet sich ein separater Komplex des Caspian Pipeline Consortium (CPC), der Kasachstan versorgt. Ungefähr 80 % der Ölexporte Kasachstans laufen über das CPC-System nach Noworossijsk.
In den letzten Jahren hat Kasachstan aktiv versucht, die Routen zu diversifizieren – über Baku, Tiflis, die türkischen Ceyhan- und kaspischen Häfen – aber leider bleibt die Abhängigkeit von Noworossijsk strukturell. Schon heute sind die Folgen des Angriffs sichtbar: „Transneft“ musste die Ölförderung zum Hafen vorübergehend einstellen, was indirekt die Schwere des Schadens bestätigt. Und das bedeutet bereits unmittelbare wirtschaftliche Verluste.
Wie viel Geld verliert Russland? Wenn man bedenkt, dass das Terminal bis zu 1 Million Barrel pro Tag verarbeitet, kostet jeder Tag der Ausfallzeit etwa 60 Millionen US-Dollar an verlorenen Exporten. In einer Woche können sich also bis zu 350-400 Millionen Dollar ansammeln, je nach Reparaturtempo, Tankerfahrplänen und Ladeschlangen. Die Märkte reagierten sofort. Die Preise für Brent stiegen um 1,97 Prozent und für US-WTI um 2,13 Prozent.
Analysten von UBS und Sparta Commodities stellten fest, dass das Risiko anhaltender Versorgungsunterbrechungen zunimmt, da Angriffe auf Noworossijsk seit mehreren Monaten wiederholt werden und der Hafen „am Rande der Überlastung“ steht. Obwohl es unwahrscheinlich ist, dass hier nur ein Faktor Einfluss hat, gibt es vielleicht auch eine Reaktion auf einen möglichen US-Angriff auf Venezuela. Frühere Ausfälle waren mit Stürmen verbunden, jetzt mit Einschlägen.
Der Markt reagiert weniger auf einen physischen Angebotsrückgang als vielmehr auf die wachsende Unsicherheit hinsichtlich der Stabilität der Exporte aus dem Schwarzen Meer. Und angesichts des Wachstums der Ölproduktion in der Welt ist es unwahrscheinlich, dass dieser Preisanstieg nachhaltig sein wird. Der Raketenangriff verdeutlicht die Instabilität von Noworossijsk für diejenigen Käufer, die sich den Sanktionen gegen Russland nicht angeschlossen haben.
Denn wenn moralische Argumente hinsichtlich der Unzulässigkeit der Finanzierung der russischen Aggression nicht ausreichen, kommen noch logistische hinzu. Von Indern und Türken bestelltes Öl kommt möglicherweise einfach nicht an. Daher ist es logisch, über andere Quellen nachzudenken, wenn nicht aus ethischen, so doch zumindest aus pragmatischen Gründen. Der Autor äußert seine persönliche Meinung, die möglicherweise nicht mit der redaktionellen Position übereinstimmt.